Berliner Testament: Darf der Überlebende das Ehegattentestament ändern?
Formulierungen in Testamenten beschäftigen die Gerichte häufig. Immer wieder müssen sie ausgelegt werden, insbesondere, wenn der oder die Testierenden vorher keinen Rechtsrat eingeholt haben. Bei gemeinschaftlichen Ehegattentestamenten stellt sich regelmäßig die Frage, inwieweit sich die Eheleute binden wollten. Darf sich der Überlebende in Bezug auf die Frage, wer nach dem Tode beider Ehegatten erben soll, noch umentscheiden? Für einen Fall, der so oder so ähnlich häufig vorkommt, hat dies das Oberlandesgericht Bamberg verneint (OLG Bamberg vom 6. November 2015, Aktenzeichen 4 W 105/15).
Der Fall: Ehemann ändert gemeinschaftliches Ehegattentestament nach Tod der Frau
In einem gemeinschaftlichen Testament aus dem Jahr 1992 setzen sich die Ehegatten gegenseitig zu Alleinerben und ihre vier Kinder als Schlusserben ein. Sie schreiben unter anderem „Das heißt, der überlebende Ehegatte ist Alleinerbe und hat die Verfügungsgewalt über das gemeinsame Vermögen.“ Danach verfassen die Eheleute 2010 gemeinsam noch eine Verfügung zugunsten eines Sohnes: Dieser soll „das Anwesen und dessen Verwaltung übernehmen. Er hat am meisten dafür getan. Als Wohnung sollen unsere Wohnräume ihm dienen.“ Diese Anordnung greift jedoch nicht, weil sie nur maschinenschriftlich verfasst ist.
Die Ehefrau stirbt 2014, der Ehemann 2015. Eine gute Woche vor seinem Tod lässt der Ehemann ein notarielles Testament errichten. Darin widerruft er die Verfügungen des Testaments von 1992 hinsichtlich der Schlusserbeneinsetzung und setzt den bereits vorher bedachten Sohn zum Alleinerben ein.
Die Frage ist nun, ob das neue notarielle Testament vom Ehemann zugunsten des einen Sohnes gilt oder das gemeinschaftliche Ehegattentestament von 1992 gleichberechtigt zugunsten aller Kinder. Dies hängt davon ab, ob die Ehegatten bei der Errichtung des gemeinsamen Testamentes wollten, dass dies durch den überlebenden Ehegatten alleine nicht mehr abgeändert werden darf.
Berliner Testament: Spezielle gesetzliche Auslegungsregel
Die Formulierung „hat die Verfügungsgewalt über das gemeinsame Vermögen“ ist daher nach dem übereinstimmenden Willen der Ehegatten zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung auszulegen. Sofern ein solches Testament keine klaren und eindeutigen Aussagen enthält, muss diese Frage nach den allgemeinen Auslegungsgrundsätzen ermittelt werden.
Lässt sich der Wille damit nicht zuverlässig feststellen, so kommt bei der vorliegenden Konstellation eines sogenannten Berliner Testaments, in dem sich die Eheleute gegenseitig zum Alleinerben und ihre gemeinsamen Kinder als gemeinsame Schlusserben zu gleichen Teilen eingesetzt hatten, eine spezielle gesetzliche Auslegungsregel zum Zuge. Demnach sind im Zweifel die gegenseitigen Erbeinsetzungen der Ehegatten jeweils auch im Verhältnis zur Schlusserbeneinsetzung des anderen Ehegatten als bindend anzusehen.
Das OLG Bamberg sieht in der Bestimmung im gemeinschaftlichen Testament, wonach der überlebende Ehegatte „die Verfügungsgewalt über das gemeinsame Vermögen“ haben sollte, schon nach dem Wortlaut der betreffenden Anordnung lediglich die Bedeutung und Funktion eines klarstellenden Zusatzes, wonach der überlebende Ehegatte tatsächlich Vollerbe werden sollte.
Keine Rückschlüsse auf Wünsche der Ehegatten möglich
Nach Ansicht des Gerichts ist nicht zu erkennen, dass die Vorstellungen der Ehefrau entgegen aller Lebenserfahrung nicht von dem Wunsch bestimmt gewesen sein könnte, das gemeinsame Vermögen allen vier Kindern zu gleichen Teilen zukommen zu lassen. Im Gegenteil: Die im Jahr 2010 gewollte testamentarische Änderung des ursprünglichen Testamentes werde ausdrücklich mit einer zwischenzeitlichen Änderung der Verhältnisse, nämlich damit begründet, dass der bedachte Sohn für „das Anwesen und dessen Verwaltung … am meisten getan (habe)“.
Diese einleitende Klarstellung könne somit dem Gericht zufolge nur dahin verstanden werden, dass der beabsichtigten Zuwendung an den Sohn ein Motivationswechsel infolge einer – in den zurückliegenden 18 Jahren eingetretenen – neuen Entwicklung zugrunde gelegen hatte. Aus diesem Grund können keine tragfähigen Rückschlüsse auf die Erwartungshaltung und Wünsche der testierenden Ehegatten zur Zeit der Testamentserrichtung im Frühsommer 1992 gezogen werden.
Gesetzliche Vermutung greift: Ehegattentestament kann nicht geändert werden
Somit greift die gesetzliche Vermutung. Diese geht von der gewöhnlichen Lebenserfahrung über die Vorstellungen und Absichten der Ehegatten in solchen Fällen aus. Danach tun Eheleute, die ihr gemeinsames Vermögen letztlich an ihre eigenen – gemeinsamen – Kinder weitergeben möchten, jedoch mit Rücksicht auf die Altersversorgung des anderen Ehegatten ihre Abkömmlinge für den Fall ihres eigenen Vorversterbens enterben, dies jeweils in einer gewissen Erwartung. Sie erwarten offenkundig, dass aufgrund der gleichzeitigen Schlusserbeneinsetzung des anderen Teiles das gemeinsame Vermögen mit dem Tode des Ehegatten auf ihre Kinder übergehen wird.
Dieses Vertrauen der testierenden Eheleute wird unter anderem dadurch geschützt, dass ein Widerruf nach dem Tod des Erstversterbenden grundsätzlich ausgeschlossen ist. Der nachversterbende Ehemann konnte daher den einen Sohn nicht durch ein weiteres Testament nach dem Tod der Ehefrau besonders bevorzugen, auch wenn sie das womöglich seit 2010 wollte. Die vier Kinder wurden zu gleichen Teilen Erben.
Quelle: Deutsche Anwaltauskunft