Arzthaftung: Kein Schmerzensgeld für lebensverlängernde Maßnahmen
Die Zahl der Schwerstpflegebedürftigen steigt rasant. Und damit auch das Risiko von Ärzten, für Behandlungsfehler in Anspruch genommen zu werden. Konfliktpotenzial entsteht insbesondere dann, wenn Patienten ihren Willen nicht mehr äußern können und auch keine Patientenverfügung verfasst haben. Ein Urteil des Bundesgerichtshofs stärkt jetzt die Rechte von Medizinern.
Im viel diskutierten Ausgangsfall hatte ein niedergelassener Arzt für Allgemeinmedizin einen an fortgeschrittener Demenz leidenden Patienten von 2006 an über mehrere Jahre mittels einer Magensonde künstlich ernährt. Obwohl es dem Patienten immer schlechter ging und er häufig an Fieber, Atembeschwerden und Lungenentzündungen litt, setzte der Arzt die künstliche Ernährung bis zum Tod des Patienten im Oktober 2001 fort. Bereits Anfang 2010 hatte der Mediziner in der Krankenakte vermerkt, dass ab da nur noch palliative Versorgung stattfinden solle.
Sinnlose Verlängerung des krankheitsbedingten Leidens?
Gegen die lebensverlängernde künstliche Ernährung zog der Sohn des mittlerweile verstorbenen Patienten vor Gericht und forderte aus ererbtem Recht seines Vaters Schmerzensgeld sowie Ersatz für Behandlungs- und Pflegeaufwendungen. Die künstliche Ernährung habe spätestens seit Anfang 2010 nur noch zu einer sinnlosen Verlängerung des krankheitsbedingten Leidens des Patienten geführt. Der Mediziner sei daher verpflichtet gewesen, den Tod des Patienten durch Beendigung der lebenserhaltenden Maßnahmen zu ermöglichen. Der Patient hatte keine Patientenverfügung errichtet. Sein Wille hinsichtlich des Einsatzes lebenserhaltender Maßnahmen ließ sich auch nicht anderweitig feststellen.
Das Landgericht wies in erster Instanz die Klage ab. Das Oberlandesgericht sprach in der Berufung dagegen dem Kläger ein Schmerzensgeld in Höhe von 40.000 Euro zu. Begründung: Der beklagte Allgemeinmediziner sei im Rahmen seiner Aufklärungspflicht gehalten gewesen, mit dem Betreuer die Frage der Fortsetzung oder Beendigung der Sondenernährung eingehend zu erörtern, was er unterlassen habe. Die aus dieser Pflichtverletzung resultierende Lebens- und gleichzeitig Leidensverlängerung des Patienten stelle einen ersatzfähigen Schaden dar.
Menschliches Leben absolut erhaltungswürdig
Dieser Auffassung widersprach der Bundesgerichtshof in der Revision mit deutlichen Worten. In seinem Urteil vom 2. April 2019 (Az. VI ZR 13/18) lehnte der für das Arzthaftungsrecht zuständige VI. Zivilsenat einen Schmerzensgeldanspruch ab. Dabei könne dahinstehen, so die Richter, ob der Beklagte Pflichten verletzt hat. Es fehle jedenfalls an einem immateriellen Schaden, denn „das menschliche Leben ist ein höchstrangiges Rechtsgut und absolut erhaltungswürdig“. Das Urteil über seinen Wert stehe keinem Dritten zu. Deshalb verbiete es sich, das Leben – auch ein leidensbehaftetes Weiterleben – als Schaden anzusehen.
Auch einen Anspruch des Klägers auf Ersatz der durch das Weiterleben des Patienten bedingten Behandlungs- und Pflegeaufwendungen verneinte der Senat. Schutzzweck etwaiger Aufklärungs- und Behandlungspflichten im Zusammenhang mit lebenserhaltenden Maßnahmen sei es nicht, wirtschaftliche Belastungen, die mit dem Weiterleben und den dem Leben anhaftenden krankheitsbedingten Leiden verbunden sind, zu verhindern. „Insbesondere dienen diese Pflichten nicht dazu, den Erben das Vermögen des Patienten möglichst ungeschmälert zu erhalten“, so die Richter.
Quelle: Eigene Recherche