Bahnbrechendes Corona-Urteil: Versicherung muss bei Betriebsschließung zahlen
Dieses Urteil dürfte bahnbrechend sein: Das Landgericht München I gab der Klage eines Gastwirts statt, der seinen Betrieb im Frühjahr aufgrund behördlicher Anordnung schließen musste und deshalb einen Schaden von über einer Million Euro erlitt.
Dieses Urteil dürfte bahnbrechend sein: Das Landgericht München I gab der Klage eines Gastwirts statt, der seinen Betrieb im Frühjahr aufgrund behördlicher Anordnung schließen musste und deshalb einen Schaden von über einer Million Euro erlitt (Aktenzeichen 12 O 5895/20). Obwohl er sich noch 17 Tage vor der Zwangsschließung gegen den drohenden Einnahmenausfall abgesichert hatte, verweigerte die Versicherung die Zahlung von Schadenersatz. Zu Unrecht, urteilte das Gericht. Es hält insbesondere eine Vertragsklausel des Versicherers für intransparent und deshalb unwirksam, aus der sich eine Beschränkung auf die dort aufgelisteten Krankheiten und Krankheitserreger ergeben sollte.
In den maßgeblichen Versicherungsbedingungen (AVB) des Versicherers heißt es auszugsweise:
„§ 1 Gegenstand der Versicherung, versicherte Gefahren
1. Der Versicherer leistet Entschädigung, wenn die zuständige Behörde aufgrund des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz – IfSG) beim Auftreten meldepflichtiger in Nr. 2 aufgeführten Krankheiten oder Krankheitserreger a) den versicherten Betrieb … schließt; …
2. Versicherungsschutz besteht für die folgenden der in §§ 6 und 7 IfSG namentlich genannten, beim Menschen übertragbaren Krankheiten und Erreger nach Fassung des Gesetzes vom 20.07.2000:
a) Krankheiten … b) Krankheitserreger …
§ 3 Ausschlüsse
1. Der Versicherer haftet nicht …
b) für andere als die in § 1 Ziffer 2 genannten Krankheiten und Krankheitserreger, insbesondere nicht für … .“
Nach Ansicht des Gerichts kommt es weder auf die Rechtsform noch die Rechtmäßigkeit der Anordnung an, auf deren Grundlage das Bayerische Staatsministerium für Gesundheit und Pflege ab dem 21. März 2020 den klägerischen Betrieb wegen der Corona-Pandemie geschlossen hatte. Auch habe der Kläger nicht gegen die Anordnungen vorgehen müssen.
Es kommt, so die Kammer, nach den Allgemeinen Versicherungsbedingungen lediglich darauf an, dass der Betrieb des Klägers aufgrund des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) geschlossen worden sei. Die Allgemeinverfügung des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege vom 21. März und die folgende Verordnung vom 24. März habe sich nämlich ausdrücklich auf die Ermächtigungsgrundlagen in §§ 28 bis 32 IfSG bezogen.
Auch auf einen Außerhausverkauf habe sich der Gastwirt nicht verweisen lassen müssen, da dieser nicht stattfand und überdies dem Kläger auch unzumutbar gewesen sei. Der Außerhausverkauf, wenn er für den Restaurantbetrieb lediglich ein vollkommen untergeordnetes Mitnahmegeschäft sei, stelle keine unternehmerische Alternative dar, auf die sich der Versicherungsnehmer verweisen lassen müsse.
Der Versicherungsumfang sei auch nicht durch § 1 Ziffer 2 AVB eingeschränkt, denn die Parteien hätten den Versicherungsvertrag am 4. März, also während der Pandemie und im Hinblick darauf – abgeschlossen.
Unabhängig davon sei § 1 Ziffer 2 AVB der beklagten Versicherung intransparent und daher unwirksam. Werde der Versicherungsschutz durch eine AVB-Klausel eingeschränkt, müsse dem Versicherungsnehmer deutlich vor Augen geführt werden, in welchem Umfang Versicherungsschutz trotz der Klausel bestehe.
Diesen Anforderungen hält § 1 Ziffer 2 AVB nach Ansicht des Gerichts nicht stand, denn der Versicherungsnehmer gehe auf Basis des Wortlauts von § 1 Ziffer 1 AVB davon aus, dass der Versicherungsschutz dem Grunde nach umfassend sei und sich mit dem IfSG decke. Er gehe aufgrund des Wortlauts und der Verweisung in § 1 Ziffer 1 AVB zudem davon aus, dass in § 1 Ziffer 2 AVB eine bloße Wiedergabe der gesetzlich erfassten Krankheiten und Krankheitserreger erfolge, und nur in § 3 AVB Einschränkungen enthalten seien.
Zudem sei die Auflistung der Krankheiten und Krankheitserreger im Vergleich zum IfSG unvollständig. Das Infektionsschutzgesetz sei seit seiner Einführung vor 20 Jahren bereits mehrfach geändert und um weitere Krankheiten und Erreger ergänzt worden.
Dies bliebe dem Versicherungsnehmer verborgen und damit müsse er auch nicht rechnen. Um den wahren Gehalt des Versicherungsschutzes zu erfassen, müsste der Versicherungsnehmer letztlich die Auflistung in § 1 Ziffer 2 AVB Wort für Wort mit der aktuellen geltenden Fassung des IfSG vergleichen. Eine Klausel, deren Tragweite nur durch den Vergleich mit einer gesetzlichen Vorschrift erkennbar sei, die aber dem durchschnittlichen Versicherungsnehmer dieser Versicherung nicht bekannt ist, sei intransparent.
Schließlich seien weder gezahltes Kurzarbeitergeld noch staatliche Corona-Liquiditätshilfen anspruchsmindernd zu berücksichtigen, da es sich hierbei nicht um Schadensersatzzahlungen gerade für Betriebsschließungen handele.
Im Hinblick auf die zu erwarteten Folgen des Urteils für die gesamte Branche sowie die Höhe der zu leistenden Entschädigung in Höhe von 1,014 Millionen Euro ist zu erwarten, dass die unterlegene Versicherung Rechtsmittel ergreift und der Fall nun in der Berufungsinstanz erneut geprüft wird.